„Wir müssen Abfall als Wertstoff verstehen“ - Prof. Dr. Reinhard Hüttl, acatech Vizepräsident (Amt ruht derzeit), im Interview mit dem Handelsblatt Themenboten

Professor Reinhard Hüttl ist Vizepräsident der Akademie der Technikwissenschaften (acatech/ Amt ruht derzeit) und leitet deren „Circular Economy Initiative“. Zudem leitet er das deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam. Im Interview erläutert er die unschlagbaren Potenziale der Kreislaufwirtschaft und die Wichtigkeit, gerade jetzt an einem Strang zu ziehen.

„Die Mülltonne wird immer leerer“ - Prof. Dr. Reinhard Hüttl, acatech Vizepräsident (Amt ruht derzeit), im Interview mit der Frankfurter Rundschau

Professor Hüttl, Deutschland gilt als Erfinder der Kreislaufwirtschaft. Materialien, ob für Autos, Coladosen oder Textilien, sollen nach der Nutzung aufbereitet und wiederverwendet werden. Es soll kein Müll mehr entstehen. Wo stehen wir damit?

”Wir sind europäischer Spitzenreiter, was die Recyclingquoten angeht, gleichzeitig produzieren wir aber auch so viel Müll wie kein anderes europäisches Land. Die Vision einer Circular Economy geht indes viel weiter als reines Recycling: Wir wollen nicht nur Abfälle wiederverwerten. Wir wollen, dass die Mülltonne immer leerer wird, indem wir die Ressourcenproduktivität erhöhen und Stoffkreisläufe schließen.”

https://www.fr.de/wirtschaft/muelltonne-wird-immer-leerer-13079927.html

„Raus aus linearer Konsumlogik: Circular Economy Initiative Deutschland"

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Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln: Das ist die Vision der Circular Economy. Die neu gegründete Circular Economy Initiative Deutschland möchte die lineare Logik des Herstellens und Verbrauchens durchbrechen. Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten zusammen an einem Zielbild für Deutschland. Mitglieder der Initiative stellen Staatssekretär Thomas Rachel (BMBF) eine erste Studie über Perspektiven für Deutschland, europäische Vorbilder und die Entwicklung einer Circular Economy Roadmap vor.

https://recyclingportal.eu/Archive/50030

„Wir haben nur diesen Planeten“

Die ökologischen Grenzen unseres Planeten verdeutlicht jedes Jahr der “Erdüberlastungstag”. In diesem Jahr fiel der Tag, an dem die nachhaltig nutzbaren Ressourcen eines Jahres verbraucht sind, auf den 29. Juli.

“Wir haben nur diesen Planeten”, zitiert die FAZ am 30. Juli den acatech Vizepräsidenten und Co-Vorsitzenden der Circular Economy Initiative Deutschland, zu diesem Anlass:

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen-fuer-mehr-recycling-wir-haben-nur-diesen-planeten-16308541.html

Raus aus der linearen Konsumlogik: Deutschland hat eine Circular Economy Initiative

Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln: Das ist die Vision der Circular Economy. Die neu gegründete Circular Economy Initiative Deutschland möchte die lineare Logik des Herstellens und Verbrauchens durchbrechen. Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten zusammen an einem Zielbild für Deutschland. Mitglieder der Initiative stellen Staatssekretär Thomas Rachel (BMBF) eine erste Studie über Perspektiven für Deutschland, europäische Vorbilder und die Entwicklung einer Circular Economy Roadmap vor.

Heutige Produktions- und Konsummuster folgen weitgehend einer linearen Logik: abbauen, herstellen, konsumieren, entsorgen. Konsumgüter vom Smartphone bis zur Plastiktüte verlieren bereits nach einem einzigen Nutzungszyklus durchschnittlich 95 Prozent ihres Rohstoffwertes. Gleichzeitig sind sie häufig nur gering ausgelastet. Autos zum Beispiel werden durchschnittlich nur zwei Prozent ihrer Lebensdauer gefahren. In diesem Sinne ist das heutige Wirtschaftsparadigma höchst ineffizient.

acatech Vizepräsident Thomas Weber, Co-Vorsitzender der Circular Economy Initiative Deutschland (CEID) erläutert: „Mit Recycling und zunehmend effizienteren (industriellen) Prozessen sind wir in Deutschland zumindest in einzelnen Bereichen schon in die richtige Richtung unterwegs. Wenn wir wirklich nachhaltiges Wachstum ermöglichen wollen, müssen wir allerdings neu und systemischer denken. Mit der Vision einer Circular Economy zeigen wir neue, effektive Wege auf, wie Wertschöpfungsketten zu Kreisläufen verbunden werden können, sodass Abfälle und Emissionen zum Nutzen von Mensch und Umwelt soweit wie möglich vermieden werden.“

Anlässlich des Auftakts der Circular Economy Initiative sagte Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF: „Wir brauchen eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft, damit auch zukünftige Generationen in einer intakten Umwelt gesund und in Wohlstand leben können. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt deshalb die an der ‚Circular Economy Initiative Deutschland´ Beteiligten dabei, den Wandel hin zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft intensiv voranzutreiben. Technologische und soziale Innovationen sowie eine gemeinsame Anstrengung von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft werden dabei entscheidend sein für den Erfolg.“

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Lenkungskreissitzung der Circular Economy Initiative Deutschlands (CEID) mit Vertretern der Geschäftsstelle der CEID und des Kooperationspartners SYSTEMIQ.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Lenkungskreissitzung der Circular Economy Initiative Deutschlands (CEID) mit Vertretern der Geschäftsstelle der CEID und des Kooperationspartners SYSTEMIQ.

Einige EU-Länder haben bereits Circular Economy Strategien

Zum Auftakt der Initiative hat acatech in Kooperation mit SYSTEMIQ eine Vorstudie vorgelegt. Ermöglicht durch die Förderung der Stiftung Mercator und der European Cli­mate Foundation wertet diese internationale Erfahrungen bei der Ge­staltung des Wandels hin zu einer Circular Economy aus. Zudem präsentiert das Autorenteam zehn Elemente zur Gestaltung einer Circular Economy für Deutschland, die auch auf Grundlage von Expertenworkshops mit Mitgliedern der Circular Economy Initiative entwickelt wurden.

Die Vorstudie zeigt: Die Vision einer Circular Economy hat international große Bedeutung. Die Europäische Union und zahlreiche Mitgliedsländer haben bereits strategische Pläne für einen Übergang zu einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise nach den Prinzipien der Circular Economy entwickelt – zum Beispiel die Niederlande, Portugal oder Luxemburg. Auch außerhalb Europas folgen Länder dieser Leitidee, beispielsweise China, Japan oder Kanada.

Lars Grotewold, Bereichsleiter Klimawandel der Stiftung Mercator, zur Veröffentlichung der Vorstudie: „Der Ansatz der Circular Economy hat ein bisher noch unzureichend berücksichtigtes Potenzial – nicht zuletzt auch für den Klimaschutz. Zum Erreichen unser Klimaziele müssen wir gerade in einem Industrieland wie Deutschland dieses Potenzial voll ausschöpfen. Die Analysen von acatech und SYSTEMIQ zeigen, dass andere Länder Deutschland hier bereits voraus sind. Wir hoffen, dass die Circular Economy Initiative Deutschland vorhandene Strategien und Netzwerke zu Klimaschutz und Ressourceneffizienz verschränken und der Debatte in Deutschland einen wichtigen Anstoß geben kann.“

Philipp Nießen, Director für Industrie & Innovation, bei der European Climate Foundation, sagt: „Konzepte der Kreislaufwirtschaft bieten unserer Industriegesellschaft eine wichtige Perspektive. Wir können Klimaschutz und Rohstoffeffizienz mit einer innovativen, prosperierenden Wertschöpfung verbinden. Deshalb haben wir uns als European Climate Foundation an der initialen Studie zur Circular Economy Initiative Deutschland beteiligt und sehen großes Potential in ihrer Arbeit.“

Die Autorinnen und Autoren der Vorstudie kommen zu dem Fazit: Circular Economy hat das Zeug zu einem integrierenden Leitbild und zu einer Strategie, nationale Ziele zu harmonisieren und damit mögliche Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zu überwinden.

Auch wenn bereits eine Vielzahl ressourcenpolitischer Instrumente, welche die Privatwirtschaft, die Zivilgesellschaft und die Wissenschaft mobilisieren soll, umgesetzt wird, haben diese bisher eher einen inkrementellen Charakter und adressieren nur Teilaspekte eines Circular Economy Narratives. Es wird deshalb Zeit für eine deutsche Circular Economy Strategie.

Die Circular Economy Initiative Deutschland möchte aus diesem Grund eine Roadmap für Deutschland entwickeln. In Arbeitsgruppen analysieren die Mitglieder zirkuläre Geschäftsmodelle und nötige Rahmenbedingungen sowie konkrete Anwendungsbeispiele einer Circular Economy in den Bereichen Batterie für Elektroautos und Verpackung.

Start der „Circular Economy Initiative Deutschland“

Von den Folgen intensiver Landwirtschaft, großen Ansammlungen von Plastik in den Weltmeeren bis hin zu einem immer größer werdenden ökologischen Fußabdruck: Die Art, wie wir als Gesellschaft konsumieren und produzieren, geht zunehmend zulasten von Mensch und Umwelt. Die am 1. März gestartete „Circular Economy Initiative Deutschland“ hat zum Ziel, die ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit in Balance zu bringen. In der Initiative arbeiten Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft eng zusammen. Den Vorsitz haben die acatech Vizepräsidenten Thomas Weber und Reinhard F. Hüttl (Amt ruht derzeit) inne.

Die Circular Economy zielt darauf ab, die Art und Weise wie wir produzieren und konsumieren grundlegend zu verändern. Durch eine intensivere Nutzung von Ressourcen und eine Kreislaufführung soll ihr Wert so lange wie möglich erhalten bleiben. Dazu sind Veränderungsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfung notwendig. So sollten Produkte zum Beispiel reparierbar und wiederverwendbar sein. Kundinnen und Kunden sollten bewusster konsumieren und sich vermehrt auf Konzepte aus der Sharing Economy einlassen. Gleichzeitig sollen Abfälle als neue Ressource betrachtet werden. Langfristig kann dieser Ansatz dazu beitragen, Ressourcen zu schonen, Müll zu reduzieren und Emissionen zu verringern.

Deutschland und die Europäische Union unterstützen den Übergang zu einer kreislauforientierten Wirtschaft. Die Circular Economy Initiative Deutschland definiert Ziele für diesen Veränderungsprozess und fokussiert sich dabei auf folgende Themen:

  • Zirkuläre Geschäftsmodelle und digitale Technologien als Innovationstreiber

  • Neue Wertschöpfungsnetzwerke für Batterien und Verpackung

  • Rahmenbedingungen für eine zirkuläre Transformation und Bemessung der volkswirtschaftlichen Circular Economy Potenziale

Darüber hinaus zielt das Vorhaben darauf ab, die Entwicklung erster Pilotprojekte anzustoßen. So möchten die Akteure dazu beitragen, konkrete Aktivitäten in Forschung und Entwicklung aufzusetzen, um relevante Technologien, Funktionssysteme oder Materialien zu fördern oder in Umsetzung zu bringen.

Koordiniert wird die Circular Economy Initiative durch acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften in Kooperation mit SYSTEMIQ. Die Förderung für das Projekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die beteiligten Unternehmen bereitgestellt. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen werden im Rahmen der Initiative die Chancen und Herausforderungen untersucht, die eine Transformation hin zu einer zirkulären Wertschöpfung beinhaltet. Aus den Ergebnissen werden Empfehlungen und Gestaltungsoptionen abgeleitet und in Form einer Circular Economy Roadmap für Deutschland zusammengefasst.